In einer Assemblage aus eigenen und gefundenen Fotografien, Berichten, Zitaten, Videos und Artefakten widmet sich die katalanische Künstlerin Laia Abril (*1986) in ihrer umfassenden Recherchearbeit On Rape – And Institutional Failure dem Thema der strukturell ermöglichten Vergewaltigung. Über verschiedene Zeithorizonte, Kulturpraktiken und Medien hinweg, zeichnet sie die Normalisierung misogyner Denk- und Handlungsweisen in Gesellschaft und Politik nach, ohne dabei auf explizite Darstellungen sexualisierter Gewalt zurückzugreifen.
Der Ausgangspunkt für Laia Abrils Untersuchung war ein Vergewaltigungsfall in Spanien, der 2018 auf der Höhe der #MeToo-Bewegung landesweite Proteste auslöste. Fünf Männer, die eine junge Frau brutal vergewaltigt hatten, wurden anschließend gegen eine Kaution aus der Untersuchungshaft entlassen. Verurteilt wurden sie später nicht für den Tatbestand der Vergewaltigung, sondern für das mit geringerer Strafe geahndete Delikt des sexuellen Missbrauchs. Im Licht des Aufschreis gegen ein fehlerhaftes und frauenfeindliches System geht Laia Abril der Frage nach, wie ein solch institutionelles Versagen möglich wurde – und welche historisch tradierten Grundüberzeugungen, kulturellen Prägungen, Mythen und Gesetze dazu führen, dass Machtdynamiken und Abhängigkeitsverhältnisse bis heute aufrechterhalten und Täter:innen geschützt werden.
On Rape – And Institutional Failure ist das zweite Kapitel des Langzeitprojekts A History of Misogyny, in dem Laia Abril auf die vielfältigen Formen systemischer Gewalt gegen Frauen reagiert. Abril gelingt es, eine tiefgreifende Empathie für Betroffene sexualisierter Gewalt zu schaffen und gleichzeitig Betrachter:innen zum Nachdenken über das komplexe Verhältnis zwischen Erfahrung, Bild und Sprache sowie der Abbildbarkeit von Traumata zu bewegen. Der bei dieser Thematik häufig empfundenen Sprachlosigkeit setzt sie eine bewegende wie politische Erzählung entgegen und appelliert sogleich an die gesamtgesellschaftliche Verantwortung.
Mit ihrer recherchebasierten Praxis ist Laia Abril heute eine der wichtigsten Vertreter:innen einer neuen Generation von Künstler:innen, die anhand von Archiven, schriftlichen Zeugnissen und eigenem Bildmaterial komplexe, tabuisierte und verborgene Themen sichtbar macht und zu vielschichtigen Erzählungen über die Gegenwart gelangt. C/O Berlin präsentiert in Zusammenarbeit mit Les Filles du Calvaire, Paris die erste institutionelle Einzelausstellung der Künstlerin in Deutschland.
Laia Abril (*1986) ist eine multidisziplinäre katalanische Künstlerin. Nach ihrem Journalismusstudium besuchte sie Fotokurse am International Center of Photography in New York, um sich auf ihren Themenschwerpunkt unbequemer und verborgener Realitäten im Zusammenhang mit Sexualität, Essstörungen und Geschlechtergleichstellung zu konzentrieren. Für ihr Werk wurde sie mit dem Nationalen Fotopreis 2023 des Ministeriums für Kultur und Sport der spanischen Regierung ausgezeichnet. Sie erhielt den FOAM Paul Huf Award (2020) sowie den Magnum Foundation Grant (2019) ausgezeichnet und zählte zu den Finalist:innen des Deutsche Börse Photography Foundation Prize (2019). Ihre Arbeiten sind in zahlreichen internationalen Sammlungen vertreten, u.a. im Centre Pompidou, Paris; MoCP, Chicago; Photo Elysée, Lausanne; Fotomuseum Winterthur; Victoria Albert Museum, London und Foto Colectania, Barcelona. On Abortion, das erste Kapitel ihres Langzeitprojekts A History of Misogyny, wurde in mehr als zehn Ländern ausgestellt, u.a. im Finnish Museum of Photography, Helsinki (2019), in The Photographers’ Gallery, London (2019) und bei den Rencontres d’Arles (2016). Die Bücher On Abortion: And the Repercussions of Lack of Access (2018) – welches von Aperture/Paris Photo als bestes Buch des Jahres ausgezeichnet wurde – und On Rape: And Institutional Failure (2022) sind im Verlag Dewi Lewis erschienen.